Der Sachverhalt
Die Klägerin hatte von einem Autohändler einen 13 Jahre alten Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 144.000 km erworben. Der Kaufpreis betrug 5.000 €. Im Kaufvertrag wurde die Vereinbarung („HU neu“) getroffen. Dementsprechend wurde bei dem PKW am Tag des Fahrzeugkaufs die Hauptuntersuchung (TÜV) durchgeführt und das Fahrzeug mit einer TÜV-Plakette versehen. Einen Tag später versagte der Motor des Fahrzeuges mehrfach. Die Klägerin ließ das Fahrzeug daraufhin untersuchen und erklärte mit Schreiben vom 30. August 2012 die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise den Rücktritt. Dieser wurde unter anderem auch auf die bei der Untersuchung festgestellten erheblichen und die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Korrosion an den Bremsleitungen gestützt. Der Autohändler bestritt eine arglistige Täuschung und wandte ein, dass die Klägerin ihm keine Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben habe so dass der Rücktritt unwirksam sei. Die Klägerin erhob gegen den Kläger Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises und hatte in allen Instanzen Erfolg.
Die Entscheidung
Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 15.04.2015 – VIII ZR 80/14) bestätigte die Entscheidung des Berufungsgerichts. Zwar sei nicht abschließend zu beurteilen gewesen, ob die Klägerin tatsächlich arglistig getäuscht worden sei, so dass eine Anfechtung der Willenserklärung nach § 123 BGB wirksam erklärt wurde. Denn hinreichende Feststellungen des Berufungsgerichts zu einer arglistigen Täuschung des Beklagten fehlten. Aufgrund des von der Klägerin hilfsweise erklärten Rücktritts vom Kaufvertrag sei die Entscheidung des Berufungsgerichts jedoch dennoch richtig und die Klägerin habe Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen den beklagten Autohändler. Der Rücktritt vom Kaufvertrag war wirksam, da das Fahrzeug einen nicht unerheblichen Mangel aufwies. Denn entgegen der vereinbarten Beschaffenheit im Kaufvertrag befand sich dieses aufgrund der massiven und ohne weiteres erkennbaren Korrosion nicht in einem Zustand, der die Erteilung einer TÜV-Plakette am Tag des Kaufvertrags rechtfertigte. Die Klägerin konnte deshalb auch ohne vorherige Fristsetzung den Rücktritt vom Kaufvertrag erklären, da eine Nacherfüllung für sie nach § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB unzumutbar war. Aufgrund der Umstände des Kaufvertrages und des Eintritts des Mangels hatte die Klägerin nachvollziehbar jedes Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Fachkompetenz des beklagten Gebrauchtwagenhändlers verloren und musste sich nicht auf eine Nacherfüllung durch ihn einlassen.
Quelle: BGH-Pressemitteilung Nr. 58/2015
Fazit
Die Entscheidung zeigt, dass die Mangelhaftigkeit einer gekauften Sache – hier eines PKW – in Verbindung mit den Gesamtumständen des Kaufes, insbesondere im Hinblick auf den Zeitpunkt des Eintritts des Mangels und dessen Ausmaß, einen Rücktritt vom Kaufvertrag auch ohne vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung nach § 440 Satz 1 Alt. 3 BGB rechtfertigen kann. Dies ist dann der Fall, wenn, wie in diesem Fall, der PKW als verkehrssicher und mit TÜV-Plakette versehen verkauft wird, sich jedoch unmittelbar nach dem Kauf das Fahrzeug dennoch als derart mangelhaft erweist, dass eine TÜV-Plakette am Tag des Kaufes nicht hätte erteilt werden dürfen. Dann sei eine Nacherfüllung durch den Verkäufer für den Käufer unzumutbar.
Empfehlung
Weist ein gekauftes Fahrzeug einen Mangel auf, sollte der Mangel dem Verkäufer unverzüglich, vorzugsweise schriftlich, angezeigt werden. Das Zeitmoment ist insbesondere bei einem Verbrauchsgüterkauf, also bei einem Kaufvertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer, wichtig, da innerhalb der ersten sechs Monate der Verkäufer beweisen muss, dass der Mangel nicht schon bei Gefahrübergang, sprich im Moment der Übergabe der Sache, vorgelegen hat. Die Mangelhaftigkeit bei Gefahrübergang wird insoweit vermutet. In der Mängelanzeige sollte in jedem dem Verkäufer eine Frist zu Beseitigung des Mangels (Nacherfüllung) gesetzt werden. Von der Reaktion des Verkäufers sollte dann das weitere Vorgehen in rechtlicher Hinsicht – Rücktritt, Schadensersatz, Minderung oder gar Anfechtung – abhängig gemacht werden. Der Rücktritt und die Anfechtung sind jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich und sollten daher nicht leichtfertig erklärt werden bzw. sollte nicht erwartet werden, dass diese Erklärungen rechtlicher Überprüfung Stand halten. Denn Grundgedanke des Kaufrechts und allgemein des Vertragsrechts ist: „pacta sunt servanda“ – Verträge sind einzuhalten. Wer einen Vertrag geschlossen hat, soll sich von diesem, auch bei Pflichtverletzungen des anderen Vertragspartners, nicht ohne weiteres lösen können. Bei Mängeln ist dem Verkäufer daher in aller Regel die Gelegenheit zu geben, den Mangel zu beseitigen, also nachzubessern.
Die besprochene Entscheidung zeigt, dass es unter bestimmten Umständen auch Ausnahmen von dieser Regel geben kann. Um diese Ausnahmen zu erkennen, empfiehlt es sich, rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen.
Alexander Schulz
Rechtsanwalt