Der Sachverhalt
Nachdem der Angeklagte einen Verkehrsunfall verursacht hatte, fuhr ein Bekannter von ihm an der Unfallstelle vorbei und bog in eine Seitenstraße ab. Der Angeklagte folgte diesem und bemerkte beim Einsteigen, dass er sich beim Unfall verletzt und nunmehr eine stark blutende Wunde hatte. Er ließ sich von seinem Bekannten in ein Krankenhaus fahren und dort behandeln. Etwa 40 Minuten nach dem Unfall verständigte der Angeklagte sodann die Polizei und teilte mit, dass er Fahrer und Unfallverursacher sei. Später wurde er jedoch vom Landgericht wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt. Die Revision vor dem Bundesgerichtshof hatte Erfolg.
Die Entscheidung
Der BGH urteilte, dass das Landgericht nicht hinreichend geprüft habe, ob der Bekannte des Angeklagten noch im Bereich der Unfallstelle gehalten hatte, als der Angeklagte in dessen PKW stieg. Dies wäre allerdings entscheidend, um feststellen zu können, ob der Angeklagte möglicherweise gerechtfertigt den Unfallort verließ. Denn eine Rechtfertigung könnte dann vorliegen, wenn der Angeklagte seine Verletzung noch vor Verlassen des Unfallortes seine Verletzung bemerkt hätte und diesen zumindest auch deshalb verließ, um seine stark blutende Wunde versorgen zu lassen. (BGH, Urteil v. 27.08.2014 – 4 StR 259/14)
Fazit
Wer sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, macht sich nicht in jedem Falle strafbar. Sofern ein berechtigter Grund hierfür vorliegt und man die erforderlichen Feststellungen alsbald ermöglicht, kann das Entfernen gerechtfertigt sein. Als Rechtfertigungsgründe kommen in erster Linie solche Gründe in Betracht, die einen rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB begründen. Beispiele hierfür sind unter anderem: Wenn ein Unfallbeteiligter einen Unfallverletzten ins Krankenhaus bringt; Wenn sich ein Unfallbeteiligter durch sein Entfernen vom Unfallort einem tätlichen Angriff oder einer Bedrohung durch einen anderen Beteiligten oder Zeugen entziehen will; Wenn der Unfallbeteiligte Führer eines sich im Einsatz befindlichen Arzt- oder Feuerwehrfahrzeuges ist. Wie der BGH hier in diesem Fall nunmehr entscheiden hat, kann auch eine eigene Verletzung des Unfallbeteiligten ein Rechtfertigungsgrund sein. Die Verletzung muss jedoch von einer gewissen Schwere sein und eine sofortige ärztliche Behandlung erfordern. Dies muss im Zweifel durch ärztliche Atteste belegt werden.
Empfehlung
Wer Beteiligter eines Unfalles ist, also jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann (§ 142 Absatz 5 StGB), sollte grundsätzlich solange am Unfallort bleiben, bis er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die erforderlichen Feststellungen zu seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat. Ist eine feststellungsbereite Person am Unfallort nicht vorhanden, ist eine nach den Umständen angemessene Zeit zu warten, bevor die Unfallstelle verlassen werden kann. Dann sind die Feststellungen allerdings unverzüglich nachträglich zu ermöglichen. Im Zweifel sollte stets die Polizei gerufen werden. Wenn einer der oben genannten Gründe vorliegt, kann das Entfernen vom Unfallort, ohne vorher die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, gerechtfertigt sein. Bei eigener Verletzung darf diese nicht unerheblich sein und eine sofortige ärztliche Behandlung erfordern. Auch dann sind die Feststellungen allerdings unverzüglich nachträglich zu ermöglichen.
Alexander Schulz
Rechtsanwalt