Wenn Verfassungsrichter in einer Verhandlung keine einzige Frage an die Klägerseite haben, ist das selten ein gutes Zeichen – für diejenigen, die am Status quo festhalten wollen.
Im Saarbrücker Verfahren zur Geschwindigkeitsmessung durch Laser Scanner und ähnliche Messgeräte war es so. Die Anwälte des vermeintlichen Temposünders brauchten die meiste Zeit nur zuzuhören, wie die Richter die in Deutschland gängige Blitzertechnik grundsätzlich infrage stellten.
Nach der Verhandlung zeichnet sich ab: Der saarländische Verfassungsgerichtshof dürfte verlangen, dass ein geblitzter Autofahrer die Messung prüfen kann, indem er die Messdaten hinzuzieht. Doch die allermeisten der aktuell betriebenen Anlagen speichern diese Daten gar nicht ab. Und so dürften Bußgelder, die sich auf Messungen solcher Geräte stützen, vorerst nicht mehr durchsetzbar sein. Flächendeckend müssten solche Geräte umgerüstet oder ausgetauscht werden, bevor sie wieder Ergebnisse liefern können, die vor Gericht Bestand haben.
Es geht darum, wie sich Autofahrer zur Wehr setzen können.
Ein solches Urteil würde zwar zunächst nur für das Saarland gelten. Doch die Signalwirkung für Gerichte anderer Bundesländer wäre beträchtlich. Nicht nur künftige Verfahren dürften betroffen sein, sondern alle Bußgeldbescheide, die bis dahin noch nicht rechtskräftig geworden sind.
Das saarländische Landesverfassungsgericht verhandelte am Donnerstag über den Fall des Fahrers eines Transporters, der wegen einer angeblichen Geschwindigkeitsüberschreitung von 27 km/h in einer 30er-Zone zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt worden war und einen Punkt in Flensburg bekommen hatte. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Roland Rixecker, machte aber mehrfach deutlich, dass es in dem Verfahren nicht darum gehe, ob der Berufskraftfahrer tatsächlich so schnell unterwegs war, sondern „ob und wie sich ein Betroffener zu Wehr setzen kann“, wenn die Messdaten gar nicht abgespeichert werden. Es gehe also „um sehr grundsätzliche Fragen von Verteidigungsrechten und Fairnessgeboten“.
Das Gerät, das ihn blitzte, ein Laserscanner Traffistar S 350 der Firma Jenoptik, speichert keine Daten der eigentlichen Messung ab. Die bisher mit dem Fall befassten Gerichte gingen davon aus, dass der Geschwindigkeitsverstoß dennoch festgestellt werden konnte, da es sich um eine „standardisiertes Messverfahren“ handle. Zwar kann der Betroffene die Messung juristisch anzweifeln – doch ohne die Rohmessdaten ist dies nur sehr begrenzt möglich
Dass das Fehlen dieser Daten zu Lasten des Beschuldigten geht, klingt absurd, entspricht jedoch dem Stand der Rechtsprechung: Zwar gesteht die Mehrzahl der Gerichte den Betroffenen einen Anspruch auf die Messdaten zu, um diesen von Gutachtern prüfen lassen zu können. Möglich ist dies bisher aber faktisch nur bei Videogeräten und bei einem Gerät, das mit einem Helligkeitssensor arbeitet. Bei den gängigen Laserscannern werden gar keine Messdaten abgespeichert. Nur ganz wenige Amtsgerichte haben bisher entschieden, dass in einem solchen Fall das Verfahren einzustellen ist, weil der Betroffenen keine richtige Verteidigungsmöglichkeit hat.
Sachverständige nähren Zweifel
Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), von der die Geräte vor Freigabe geprüft werden, schreibt keine Speicherung der Messdaten vor. „Was das Messgerät am Ende speichert“, erklärte ein Vertreter der PTB, „ist Sache des Herstellers.“ Darauf Rixecker lakonisch: „Solange unsere Rechtsordnung das nicht verlangt.“
Genau das könnte sich nun ändern. Denn was die PTB, vor allem aber die vom Gericht geladenen unabhängigen Sachverständigen vortrugen, stützte ganz offenbar die Zweifel der Richter an der bisherigen Praxis.
Schon die erste Frage, ob die Prüfung durch die PTB bedeute, dass „keine relevanten Messfehler“ entstehen könnten, konnte selbst der PTB-Vertreter nicht unumwunden bejahen. Diese Prüfung entspreche immer „dem Stand der Technik“, neuere Erkenntnisse seien dann nach und nach zu berücksichtigen.
Überprüfung des Geräts reicht nicht aus.
Der Sachverständige Andreas Schütze, Professor für Messtechnik der Uni des Saarlandes, machte deutlich, was das heißt: einer solchen Datenauswertung liege immer ein Modell zugrunde. Seien darin bestimmte Störeinflüsse nicht bedacht worden, liege dies „außerhalb des Bereichs, für den das Modell gebildet wurde“. Ob bei einer konkreten Messung kein Störeinfluss vorgelegen habe, lasse sich nur prüfen, wenn die Rohmessdaten vorlägen.
Ob eine solche Fehlfunktion wenigstens ausgeschlossen werden könne, wenn bei einer späteren Prüfung das Gerät einwandfrei funktioniere, wollte Rixecker wissen. „Davon würde ich ausgehen“, wand sich wiederum der Vertreter der PTB.
„Nein“, erklärte dagegen kurz und knapp der ebenfalls vom Gericht als Sachverständiger geladene Verkehrsgutachter Johannes Priester. Eine solche Prüfung des Geräts könne niemals ausschließen, dass die frühere Messung, auf die sich der Tatvorwurf stützt, verfälscht wurde. So seien etwa ebenfalls von der PTB vor Jahrzehnten Autowaagen zugelassen worden, bei denen sich später herausstellte, dass sie sich durch Handys stören lassen.
Vergleich mit verschwundener DNA-Probe in Kriminalfällen
Eine solche Störung habe sich aber bei der Zulassung nicht absehen lassen, und wäre auch bei späteren Funktionsprüfungen nicht aufgefallen, sofern nicht jemand mit einem Handy daneben steht. Die Rohmessdaten, das machten beide Sachverständigen deutlich, wären jedenfalls ein wichtiges Instrument, um zu sehen, ob es erhebliche Zweifel am Messergebnis gibt.
Dass es nicht sein könne, dass ein Messergebnis nicht mehr überprüft werden kann, verdeutlichte Rixecker immer wieder: Dem Betroffenen dürfe „nicht die Möglichkeit abgeschnitten werden, Einwände zu erheben. Wie wäre es, fragte Rixecker rhetorisch, wenn sich der Vorwurf, jemand habe ein Sexualverbrechen begangen, auf eine DNA-Probe stütze, und das Labor „würde dann sagen, wir haben die Daten nicht mehr, auch die DNA ist weg“ – könnte man dann dem Betroffenen zumuten, dass man sich auf dieses Ergebnis verlässt?
„Wir sehen die Grundrechte der betroffenen Bürger“
Ob die Rohmessdaten bei einer solchen Prüfung helfen würden, wollte auch der saarländische Rechtsprofessor und Landesverfassungsrichter Rudolf Wendt wissen. „Ja“, sie würden helfen, erklärte sein Messtechnik-Kollege Schütze. Wolle man eine ganz genau Prüfung, sei aber „auch Know-how des Herstellers betroffen“. Verfassungsgerichtshofs-Präsident Rixecker zeigte sich davon wenig beeindruckt: „Wir sehen andererseits auch die Grundrechte der betroffenen Bürger“.
Es gehe „wirklich nur um die Frage“, ob die Rohmessdaten für die Verteidigung eines Beschuldigten „von irgendeinem Nutzen seien“, um Einwände gegen eine Messung zu erheben, erklärte Rixecker am Ende der Verhandlung. Denn solche Einwände „müssen möglich sein, sonst ist es kein rechtsstaatliches Verfahren mehr.
Quelle: Spiegel online, 09.05.2019
VGH Saar, Az.: LV 7/17