Bei der Klärung der Schuldfrage ist nach Kettenauffahrunfällen ein Gutachten dringend anzuraten
Sogenannte Kettenauffahrunfälle sind Klassiker im Verkehrsrecht. Denn besonders dann, wenn gleich mehrere Fahrzeuge involviert sind, stellt sich regelmäßig die Frage: „Wer hat angefangen?“ Diesen Sachverhalt aufzuklären, war im Folgenden auch die Aufgabe des Landgerichts Saarbrücken (LG).
Auf einer Autobahn kam es zu einem Kettenauffahrunfall. Der Halter des mittleren Fahrzeugs behauptete, von „seinem“ Hintermann auf das vor ihm stehende Fahrzeug aufgeschoben worden zu sein. Doch der Hintermann widersprach und behauptete, das mittlere Fahrzeug sei seinerseits vorher schon auf den Vordermann aufgefahren.
Das LG kam zu dem Ergebnis, dass der Auffahrende bei einem Kettenauffahrunfall auch für den Frontschaden des vorausfahrenden Fahrzeugs in vollem Umfang haftet. Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung, dass bei Kettenauffahrunfällen hinsichtlich der Verursachung des Frontschadens – der meist zu Lasten des Auffahrenden sprechende – Anscheinsbeweis keine Anwendung findet. Allerdings geht das Gericht in diesen Fällen laut vorherrschender Meinung von einer Beweiserleichterung aus. Kann der vorausfahrende Fahrer nach Einholung eines Gutachtens nämlich nachweisen, dass mit aller Wahrscheinlichkeit der Hintermann den Frontschaden verursacht hat, ist ein Aufschieben deutlich wahrscheinlicher als die Möglichkeit, dass der Geschädigte durch eigenes Auffahren auf den Vordermann seinen Frontschaden selbst verursacht hat. In solchen Fällen ist der Hintermann für den gesamten (Heck und Front-)Schaden des mittleren Fahrzeugs (mit-)verantwortlich. Hiervon ausgehend haftete auch hier der Auffahrende auch für den Frontschaden am vorausfahrenden Fahrzeug und das in vollem Umfang.
Hinweis: Grundsätzlich ist es so, dass bei Kettenauffahrunfällen die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins nicht zur Anwendung kommen. Die Entscheidung des LG überzeugt im Ergebnis aber, da der beauftragte Sachverständige klare Feststellungen zur Reihenfolge der Kollisionen treffen konnte.
Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 07.09.2018 – 13 S 43/17